Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Kreisverband Region Hannover e. V.

Auf der linken Bildseite ist eine Frau zu sehen, die an einer Bushhaltestelle, die mit Graffiti besprüht ist, wartet. Auf der rechten Bildseite ist ein Hochhaus-Block an einer Autostraße zu sehen.

Das Risiko für Mobilitätsarmut ist auf dem Land und am Stadtrand höher als in den Stadtzentren. © Krišjānis Kazaks, Johannes Krupinski, Unsplash

Was ist Mobilitätsarmut?

Mobilitätsarmut bezeichnet Einschränkungen der Mobilität, die starke Auswirkungen auf die Lebensgestaltung und soziale Teilhabe haben. Dabei ist Mobilitätsarmut eng an die Abhängigkeit vom Auto geknüpft. Das Fahrrad kann Teil der Lösung sein.

Was ist Mobilitätsarmut?

Deutschland ist noch immer ein Autoland. Das zeigt sich nicht nur in der Autoindustrie, sondern vor allem auch in der Verkehrsinfrastruktur. Diese ist in erster Linie darauf ausgelegt, dass nahezu alle Ziele gut mit dem Auto zu erreichen sind. Die Verkehrsinfrastruktur für das Fahrrad oder auch den ÖPNV sind hingegen vielerorts nicht ausreichend genug ausgebaut, um eine echte Alternative zum Autoverkehr darstellen zu können. Die Konsequenz ist, dass viele Menschen unter dem Druck stehen, das Auto nutzen zu müssen, wenn sie mobil sein möchten. 

Aus Perspektive des ADFC NRW ist das ein Problem, denn wenn Menschen so stark vom Auto abhängig sind, kann das zu einer sogenannten Mobilitätsarmut führen, die sie in ihrer Lebensgestaltung einschränkt. Eine mögliche Lösung ist es, den Radverkehr und den ÖPNV gezielt zu stärken, sodass diese Verkehrsmittel für Menschen in allen Regionen eine gute Alternative zum Auto sind. 

Im Folgenden wollen wir einen genaueren Blick auf den Zusammenhang zwischen Autoabhängigkeit und Mobilitätsarmut werfen.

Der Zusammenhang zwischen Autoabhängigkeit und Mobilitätsarmut

Wenn die Infrastruktur primär auf den Autoverkehr ausgelegt ist, dann ist auch der Druck auf die Menschen hoch, das Auto nutzen zu müssen, um von A nach B zu gelangen. Menschen, die kein Auto haben, sind hingegen „abgehängt“: Ohne Auto ist es für sie beispielsweise schwerer, Besorgungen zu machen, Veranstaltungen außerhalb des eigenen Wohnorts zu besuchen oder sich mit Freund:innen in anderen Städten oder Stadtteilen zu treffen. Kurz: Sie sind in ihrer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben eingeschränkt. Der Thinktank Agora Verkehrswende fasst dies so zusammen: „Vielerorts können Menschen ohne Auto ihre täglichen Ziele nicht, nicht sicher oder nicht mit vertretbarem Aufwand erreichen und haben so Schwierigkeiten, Dinge zu erledigen und am sozialen Leben teilzuhaben“ (Agora Verkehrswende, S. 7).

Aber auch der Besitz eines Autos kann Menschen in ihrer Fähigkeit einschränken, am sozialen Leben teilzuhaben. Denn ein Auto verursacht hohe laufende Kosten wie z.B. Sprit-, Versicherungs- oder Wartungskosten. Dadurch bleibt weniger Geld für andere Dinge des alltäglichen Lebens (vgl. Borgato, Maffii und Bosetti, S. 130f). Manche Menschen sind also aufgrund der hohen Haltungskosten ihres Autos gezwungen, sich in anderen Lebensbereichen sparsamer zu verhalten und auf Dinge wie einen Kinobesuch oder ein gemeinsames Essen mit Freunden zu verzichten. 

Ebendiese Einschränkung der Teilhabe ist ein Merkmal eines Phänomens, das „Mobilitätsarmut“ genannt wird. In einem Hintergrundpapier des Deutschen Instituts für Luft- und Raumfahrt (DLR) definieren die Autor:innen Mobilitätsarmut wie folgt: „Mobilitätsarmut bedeutet […], dass es zu Einschränkungen in der sozialen Teilhabe aufgrund zu hoher Kosten oder Zeitaufwände für Mobilität kommt“ (Deutsches Institut für Luft- und Raumfahrt, S. 1). In anderen Worten ausgedrückt: Von Mobilitätsarmut betroffen ist eine Person dann, wenn sie darauf verzichten muss, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, weil das Zurücklegen des Weges dorthin zu teuer oder zu aufwändig und kompliziert ist.

Faktoren für Mobilitätsarmut

Verschiedene Faktoren beeinflussen das Risiko, von Mobilitätsarmut betroffen zu sein.

Wohnort

Einer dieser Faktoren ist der Wohnort: Menschen, die in der Innenstadt leben, können häufig leichter auf ein Auto verzichten und sind dadurch seltener von Mobilitätsarmut betroffen als Menschen, die am Stadtrand oder auf dem Land leben. Denn einerseits sind sowohl das ÖPNV-Angebot als auch der Ausbau der Radwegeinfrastruktur in den Innenstädten deutlich besser als am Stadtrand oder auf dem Land. Gewünschte Ziele lassen sich also leichter mit dem ÖPNV oder dem Fahrrad zurücklegen. Andererseits gibt es in den Innenstädten auch ein größeres Angebot an Einkaufsmöglichkeiten, Arbeitsstellen, Freizeitaktivitäten, Arztpraxen oder Möglichkeiten zur Kinderbetreuung, weshalb die Wege dorthin häufig kürzer sind (vgl. Agora Verkehrswende, S. 10; 12).

Einkommen

Ein weiterer Faktor ist das Einkommen eines Haushalts: Bei Menschen mit niedrigerem Einkommen machen die Kosten für Mobilität einen höheren Anteil des zur Verfügung stehenden Geldes aus als bei Menschen, die ein höheres Einkommen haben. Ein geringeres Einkommen macht es also wahrscheinlicher, sich aufgrund der Mobilitätskosten in anderen Bereichen einschränken zu müssen – wie etwa bei der Miete, den Ausgaben für Lebensmittel oder dem Aufbau finanzieller Rücklagen (vgl. Agora Verkehrswende, S. 14; 16). 

Im Zusammenspiel entwickeln die Faktoren Wohnort und Einkommen eine Dynamik, die das Betroffensein von Mobilitätsarmut noch wahrscheinlicher macht: Da die Mieten am Stadtrand oder auf dem Land häufig niedriger sind, leben hier eher Menschen mit einem niedrigeren Einkommen (vgl. Borgato, Maffii und Bosetti, S. 131). Aufgrund ihres niedrigen Einkommens sind sie mit höherer Wahrscheinlichkeit von Mobilitätsarmut betroffen, weil ihre Ausgaben für Mobilität einen größeren Anteil ihres Geldes ausmachen. Ihr Wohnort am Stadtrand oder im ländlichen Raum sorgt jedoch dafür, dass sie in höherem Maße auf das Auto angewiesen sind, um für sie wichtige Ziele zu erreichen (vgl. Borgato, Maffii und Bosetti, S. 130f.). Diese Abhängigkeit vom Auto – inkl. der hohen Auto-Haltungskosten – verstärkt wiederum das Risiko, von Mobilitätsarmut betroffen zu sein. So entsteht ein Teufelskreis.

Ansätze zur Bekämpfung von Mobilitätsarmut

Aufgrund des höheren Risikos für Mobilitätsarmut in den unteren Einkommensgruppen ist es besonders wichtig, die Haushalte mit weniger finanziellen Mitteln vom Auto unabhängiger zu machen. Es braucht Maßnahmen, die „insbesondere Haushalte der unteren Einkommensgruppen erreichen, die aufgrund ihrer Wohnlage oder arbeitsbezogenen Mobilität aktuell auf das Auto angewiesen sind“ (Agora Verkehrswende, S. 27).

Da das Auto ein verstärkender Faktor für das Mobilitätsarmutsrisiko ist, muss die Abhängigkeit vom Auto reduziert werden. Agora Verkehrswende schreibt: „Maßnahmen zur Reduzierung der Autoabhängigkeit sind besonders zielführend, um Mobilitätsarmut in seinen verschiedenen Ausprägungen zu verringern oder zu vermeiden“ (Agora Verkehrswende, S. 27). Anders ausgedrückt braucht es Maßnahmen, die einen Modal Shift erwirken – also solche, die es den Menschen erleichtern, auf das Auto zu verzichten und stattdessen Alternativen zu nutzen

Der ADFC NRW versteht den konsequenten, flächendeckenden Ausbau fahrradfreundlicher Infrastruktur als ebendiese Stärkung von Alternativen zum Pkw-Verkehr. Gute Fahrradinfrastruktur macht Menschen auf dem Land oder am Stadtrand mobil und unabhängig vom Auto und senkt dadurch unmittelbar das Mobilitätsarmutsrisiko.

Fahrradstraße außerorts, Piktogramm
Erste Fahrradstraße außerorts im Landkreis Höxter. Die Fahrradstraße verbindet die Gemeinden Wormeln und Calenberg. © ADFC NRW, Jürgen Heidenreich

Menschen auf dem Land haben häufig ein höheres Risiko, von Mobilitätsarmut betroffen zu sein. Eine mögliche Lösung ist der Ausbau der Fahrrad-Infrastruktur. Eine Fahrradstraße kann auch über Land zwischen zwei Orten, wie hier im Kreis Höxter zwischen Calenberg und Wormeln, eingerichtet werden. Das ermöglicht Menschen auf dem Land, unabhängiger vom Auto zu sein und wichtige Ziele im Nachbarort zu erreichen.

In der ADFC-Toolbox gibt es viele Ideen und Tipps für Kommunen, die ihre Radinfrastruktur schnell und einfach ausbauen wollen:

ADFC-Toolbox für Kommunen und Aktive

 

 

Fazit

Die Lage ist eindeutig: Ein gut ausgebautes, komfortables Radverkehrsnetz ist ein wichtiger Baustein in der Bekämpfung von Mobilitätsarmut und ergo ein fundamentaler Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit – in ganz Deutschland, aber auch in NRW.

Der ADFC NRW ruft Entscheidungsträger:innen aus Politik und Verantwortliche in den Verwaltungen dazu auf, die Verbesserung der Fahrradinfrastruktur stärker zu priorisieren und so das Mobilitätsarmutsrisiko zu senken!

 

Quellen

 

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https://hannover-region.adfc.de/artikel/was-ist-mobilitaetsarmut-1

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